Es ist Freitagabend und ich sitze zu Hause und schreibe einen Blog-Beitrag. Ich wäre so viel lieber unterwegs, schick Essen inklusive Aperitiv mit guten Freunden. In meinen Gedanken sehe ich mich in meinem Lieblingslokal sitzen. Ich habe in den letzten Monaten ziemlich viel abgenommen und meine neuen Kleider hängen im Schrank. Sie wollen endlich ausgeführt werden. Und was ist? Corona, Lockdown der Zweite. Also manchmal nervt das Leben wirklich, als wäre ich mit dem Fuß auf der Bremse unterwegs.
Wollen aber nicht können - kennen wir das nicht alle? Ich für meinen Teil wollte schon immer mehr als ich gerade eigentlich konnte. Jahrelang saß ich in der Schule fest und musste mir Dinge anhören, die häufig für mich keinen nennenswerten Sinn ergaben. Und immer die gleiche Frage: Wann kann ich endlich hier raus und das tun, was ich wirklich will?! Dann war ich tatsächlich raus aus der Schule und auf einmal wusste ich gar nicht so recht, was ich mit der ganzen Freiheit anfangen soll. Da stand ich also: Alle Wege offen, aber welchen gehen? Wie soll ich das Leben "in Angriff nehmen"?
Ich bin ein Greys Anatomy-Fan, aber heute Abend habe ich ausgeschaltet. Ich kann es manchmal nicht ertragen mit anzusehen, wie diese erdachten Figuren ihr Leben leben, lieben, gestalten, versagen, Erfolge feiern - und ich sitze auf meinem Sofa und schaue zu. 15 Staffeln, und schwupps wurde aus einer Assistenzärztin eine gefeierte Chirurgin. Und ich vertrödle meine Zeit damit, ihr zuzusehen, wie sie alle Hürden meistert.
Eine Erkenntnis hilft: Eine Staffel dauert 20 Stunden - ein Lebensjahr braucht 8760 Stunden. Das Leben lässt sich nicht im Zeitraffer abspielen oder vorspulen. Lernen braucht Zeit, genauso ist es mit der Karriere. Immer wieder kommen Uni-Absolventen zu uns ins Coaching und wollen am liebsten gleich alles: Viel Geld, eine Führungsposition, absolute Freiheiten im Joballtag. Sie erinnern mich an mich. Hätte man mir vor vier Jahren gesagt: "Judith, du darfst unser Unternehmen mit 350 MitarbeiteInnen leiten" - ich hätte den Job übernommen. Wahrscheinlich hätte ich es auch irgendwie geschafft, aber sicherlich wäre ich nicht gut gewesen. Nein, mein Weg war um einiges härter. Er begann in einem Angestelltenverhältnis, in dem ich monatelang 70 Stunden/Woche gearbeitet habe - für 2.680€ brutto. Es waren herausfordernde, harte, großartige Zeiten, die mich auf die Unternehmensgründung vorbereitet haben. AußerGewöhnlich begann als "Ein-Frau-Unternehmen". Wir haben bereits verschiedenste Krisen erlebt und inzwischen wird es leichter die Verantwortung für meine Angestellten, ihre Familien und für die Weiterentwicklung dieses heranwachsenden Unternehmens zu tragen. Es sind langsame Prozesse. Immer wieder heißt es abwarten, planen, vorbereiten.
Wir alle warten. Wir warten auf die großen Dinge, die in unserem Leben passieren sollen. Aber warten alleine reicht nicht. Denn Warten darf nicht Stillstand bedeuten. Ich kann nicht sagen "Ich wünsche mir eine Beziehung" - und dann bleibe ich jeden Abend zu Hause. Kein Partner fällt einfach so vom Himmel auf dein Sofa. Ich kann auch nicht sagen "Ich wünsche mir diesen oder jenen Traumjob" - und mich dann nicht darauf vorbereiten oder eine Bewerbung abschicken. Wenn wir das tun, dann ist Warten Stillstand, und das Ende wird ein Trauerspiel.
Im Warten sollte man losgehen. Mir hat mal jemand gesagt: "Gott kann nur fahrende Schiffe lenken" - deswegen bleibe ich in Bewegung und warte darauf, welche Möglichkeiten sich mir im Gehen bieten. So werden Wartephasen zu lehrreichen Erfahrungen für mich. Diese Erfahrungen machen den entscheidenden Unterschied in meinem Leben. Und genau dieser Unterschied bereichert mein Leben und bringt es vorwärts.
Das Bild von oben habe ich am Amsterdamer Flughafen gemacht. Wir waren über-überpünktlich da, denn es ging zum ersten Mal für mich in die USA. Auch hier musste ich warten, aber es hat sich gelohnt, denn unser Ziel war Florida! Wir waren dort auch im Kennedy Space Center, und dieser Besuch hat mich nachdrücklich beeindruckt. Unglaublich, wie oft diese Menschen gescheitert sind. Und dann haben sie nochmal nachgedacht und es wieder probiert. Und wieder und wieder und... Die Vision war klar: Wir wollen zum Mond. Genau das haben sie geschafft.
Mich hat das dazu inspiriert, keine Angst vor großen Träumen zu haben. Ich habe nur Angst davor, dass bei mir aus Warten Stillstand wird. Denn damit würde ich mein Leben irgendwie selbst an den Nagel hängen - und das wäre doch wirklich blöd von mir, oder?!