Ich war neulich beim Zahnarzt und obwohl ich alle Schritte fotografisch dokumentiert habe, erspare ich euch diese Einblicke.
Zähne sind so eine Sache. Sie sind sehr praktisch zum Kauen, sie tragen zur Aussprache bei und schenken ein schönes Lächeln. Wenn man schöne Zähne hat. Leider habe ich zahntechnisch aber wohl nicht die besten Gene, denn in unserer Familie wird eine riesige Zahnlücke vererbt. Alle meine Geschwister haben sie, und nun ist auch noch mein Neffe in der nächsten Generation damit ausgestattet worden. Ich hatte zwar eine Zahnspange, aber anscheinend haben meine Zähne auch einen eigenen Willen und wanderten nach Ende der Behandlung gemütlich zurück zum ursprünglichen Ort. Dazu kam auch noch, dass ich mir bei einem Fahrradsturz den einen Schneidezahn abgebrochen habe. Mein damaliger Zahnarzt hat heldenhaft ein Stück mit drei Titanstäben "rangetackert" und was soll ich sagen - 30 Jahre später hielt es immer noch, nur leider sah man die Stäbe durch die Zähne. Es war alles andere als ideal - und dabei lache ich doch so gerne! Das geht schlecht mit geschlossenem Mund. Es gab also Handlungsbedarf!
Nach vielen Recherchen, Gesprächen und Geld sparen war es dann endlich so weit und ich bekam meine Veneers. Das sind Keramikplatten, die auf die Zähne geklebt werden, und schon ist mein Lächeln strahlend geworden. Oder besser gesagt "strahlender". Vor dem einsetzen war ich nämlich noch einmal beim Zahntechniker, und die Mitarbeiterin dort hat meine Veneers angemalt. Einen kleinen Riss hier angedeutet, ein bisschen was Dunkleres (sie nannte es "Wärmeres" - wirklich eine nette Umschreibung!) da. Ich habe nagelneue Veneers bekommen - und sie sehen aus, als wären meine Zähne schon 30 Jahre alt. Verrückt.
Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich davon halten soll. Da hatte ich die Chance auf ein Zahnpastalächeln, und habe sie nicht genutzt. Mein Lächeln hätte perfekt sein können. Nun ist es... passend. Denn was hilft es mir, wenn man mir weiße Keramikplatten einsetzt und alle erschrecken, weil ihnen soviel weiß entgegen strahlt? Zähne sind nun mal nicht weiß, sie werden jedes Jahr älter und müssen hart arbeiten. Sie haben sich ein paar Macken und ein bisschen warme Farbe verdient. Ich bin froh, dass ich mich so entschieden habe.
Das Ziel ist nicht die Perfektion. Es muss passen:
Über diesen Grundsatz denke ich seit meinem Veneers-Erlebnis immer wieder nach. Er ist universal anwendbar - auf Zähne, Beziehungen, Stellenbesetzungen, Planungen, Diäten, die Suche nach dem "Traum"job. Ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich einer Wunschvorstellung nachjage und damit mich und andere unnötig stresse. Obwohl ich kein Perfektionist bin, erwarte ich Perfektion im Sinne von Fehlerlosigkeit, Verbindlichkeit, Qualität. Es ist die Annahme, dass es nur dann gut werden kann, wenn es sofort reibungslos funktioniert. Wenn ich das Beste aus der Situation heraushole, keine Sekunde nachlasse. Sicherlich ist diese Annahme nicht falsch, aber sie lässt auch nicht den kleinsten Spielraum. Weg von "perfekt" hin zu "passend" ist ein guter Weg, um den Stress zu senken und neue Möglichkeiten zuzulassen.
Wo jagst du einer Wunschvorstellung hinterher? Wo würdest du es dir selbst leichter machen, wenn du weg von der perfekten Vorstellung hin zum für dich Passenden gehen würdest? Nicht indem du deinen Anspruch senkst - sondern indem du ihn so definierst, dass es sich für dich richtig und gut anfühlt.
Vielleicht wird es an zwei Beispielen deutlich
Ein Arztsohn aus meinem Abi-Jahrgang studierte im Anschluss Medizin, weil seine Eltern es so wollten. Irgendwann hat er abgebrochen und nahm jede Menge Schulden auf sich um das zu studieren, wofür sein Herz wirklich schlägt: Politikwissenschaften.
Und: Ich habe eine unglaublich mutige Cousine, die nach ihrem Abschluss zwei Jahre mit ihrem Rucksack durch die Welt gezogen ist. Wir alle (ich auch) hatten Sorge, dass sie sich danach nicht mehr gut im beruflichen Alltag zurechtfinden würde. Sie hat uns eines Besseren belehrt, ist ihren eigenen Weg gegangen und kombiniert nun ihre Arbeit mit ihren Hobbies und einer kreativen nebenberuflichen Selbstständigkeit.
Die Frage ist doch: Was will ich? Und wie weit bin ich bereit, dafür zu gehen?
Vielleicht ist es deswegen so schwierig, weil wir glauben, dass Perfektion Sicherheit mit sich bringt. Und diese Annahme ist durchaus möglich (Hallo Beamtentum!). Vielleicht liegt es auch daran, dass wir eigentlich gar nicht wissen, was für mich "passend" ist. Was sind meine Bedürfnisse, Wünsche, Ziele?
Diese Art das eigene Leben zu gestalten braucht mehr Nachdenken, mehr Mut, birgt vielleicht auch ein größeres Risiko zu scheitern und wird nicht immer auf Verständnis stoßen. Aber es ist dein Leben. Mach es AußerGewöhnlich.
Dein Leben ist er es wert, dass du wenigstens darüber nachdenkst.
Zum Ende habe ich noch ein Zitat für dich, das mir immer wieder geholfen hat, mich auf dieses Wagnis einzulassen:
„Im Wald zwei Wege boten sich mir dar,
ich ging den, der weniger betreten war.
Das veränderte mein Leben vollkommen!“